Qigong und meine Reise zur Entschleunigung
"Wenn Sie Ihre Lebenssituation so einfach verändern könnten, hätten Sie es ja schon längst getan." Diese Aussage erhielt ich in ähnlicher Weise nun schon vom dritten Arzt, obwohl mich unterschiedliche körperliche Symptome zu den verschiedenen Ärzten gebracht hatten. Unterschiedliche Symptome, doch immer wieder die gleiche Aussage. "Sie haben zu viel Stress."
"Aber es muss doch einen Weg geben. Es muss doch irgendeinen Weg geben, um mit meinem Leben klar zu kommen, ohne ständig Kopf-, Rückenschmerzen oder Verdauungsprobleme zu haben", sagte ich einige Tage später zu meinem Partner. "Da mache ich seit Jahren herum, probiere dies aus, versuche das, lerne und lese und komme selbst immer wieder an dem gleichen Punkt an, bis ich mich regelrecht erschöpft fühle, immer krätscht mein Körper dazwischen. So möchte ich nicht auf Dauer weitermachen." - "Du musst langsamer machen." - "Wie langsamer?", frage ich ihn, während ich die Spülmaschine einräume, das Kalenderblatt abreiße, "Kartoffeln und Spinat" auf einen Zettel schreibe, damit ich sie nachher beim Einkaufen nicht vergesse, bevor ich meinen Sohn von seinem Freund abhole.
Ja, manchmal steht man selbst wie der Ochs vorm Berg und sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Doch in diesem Moment wird es mir klar. Es muss sich etwas verändern, und es wird Zeit, dass ich mein gesammeltes Wissen auf mich anwende, Entschleunigung, Stressmanagement, usw. Das habe ich dann auch gemacht. Und gleichzeitig kam noch ein weiterer Aspekt hinzu. Qigong.
"Du musst langsamer machen." Dieser Satz war es dann mit dem Marcus, mein Partner, mich überzeugt hat, Qigong auszuprobieren. Es ist nämlich so, auch wenn er Qigonglehrer ist, heißt das ja nicht zwangsläufig, dass es auch auf mich überschwappt. Es hat seine Zeit gedauert, bis ich mich darauf eingelassen habe. Einer der Gründe könnte sein, dass bei Qigong alles eben etwas langsamer abläuft und das war für mich, wie man vielleicht aus dem Text oben erkennen kann, auch eine Herausforderung. Doch nun stand ich mit im Qigongraum, zusammen mit den anderen, zum Großteil schon eingeübten Kursteilnehmern, und eine gewisse Aufgeregtheit stellte sich bei mir ein. "Ob ich mir die Abläufe alle merken kann? Atme ich richtig? Stehe ich korrekt? Werde ich die Geduld für die langsamen Bewegungen aufbringen? Sind meine Bewegungen richtig? Und, was passiert da überhaupt mit mir?"
"Gong" ertönt die Klangschale und sobald sie ausgeklungen ist, geht es los. "Amituofo" lautet die Begrüßung in die Runde. Jede einzelne Sequenz wird genau erklärt, der Atem darf erstmal fließen, so wie er kommt, bis er bei späteren Übungseinheiten dann mit der Bewegung in Einklang ist. Hauptsache es bleibt alles locker und nicht verkrampft, alles findet in Gelassenheit und Ruhe statt. Tatsächlich muss ich erstmal aufpassen, dass ich meine Bewegungen langsam ausführe, doch, je öfter ich bei Qigong teilnehme, stellt sich der Rhythmus wie von selbst ein. Und mit den langsamen Bewegungen scheinen auch die Gedanken immer langsamer zu werden, ja, teils ist der Kopf sogar gedankenleer. Nur für kurze Momente, doch es fühlt sich so an, als ob ich der Welt etwas entrücke. Alles, was an dem Tag war, schiebt sich von Minute zu Minute weiter in den Hintergrund, während die Übungsabläufe immer mehr wie von selbst geschehen, im Einklang mit der restlichen Gruppe. Der Körper entspannt sich, fühlt sich lockerer und wärmer an, gleichzeitig scheint alles im Körper mehr ins Fließen zu kommen, so, als ob alle meine Zellen in eine angenehme Bewegung geraten. Die Übungsstunden vergehen wie im Flug. Hinterher fühle ich mich wie neu aufgeladen und gleichzeitig spüre ich eine wohltuende Müdigkeit, die mich, zu Hause angekommen, kuschelig in die Kissen sinken und mich in einen tiefen, festen Schlaf fallen lässt. Morgens wache ich voller Energie und mit einem harmonischen Gefühl in mir auf und starte voller Tatendrang in den Tag.
Doch was genau passiert bei Qigong mit uns und unserem Körper? In der traditionellen chinesischen Medizin gilt das "Qi" als unsere Lebenskraft, die in uns fließt und uns auch gleichzeitig umgibt. Das Qi ist für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden zuständig, da es die Aufgabe hat, unseren Körper mit der nötigen Energie zu versorgen. Eine ungesunde, gestresste Lebensweise lässt das Qi stagnieren, wodurch Krankheiten in verschiedenster Form entstehen können. Christopher Po Minar erklärt in seinem Buch "Der Weg des Meisters" Qigong als "die Kunst, die Kraft des Qi für unsere Gesundheit und Wohlbefinden zu nutzen". Durch unterschiedliche Übungen und Abläufe werden verschiedenste Funktionskreise im Körper angesprochen und unterstützen diese für eine ausgeglichene Versorgung.
Das Ziel, und auch mein Ziel, ist es, Qigong wie das Zähneputzen in den täglichen Ablauf zu integrieren. Und auch, wenn ich es noch nicht so ganz geschafft habe, hat es doch jetzt schon mit dafür gesorgt, meinen Alltag zu überdenken und mehr Ruhe und innere Stabilität zu gewinnen. So wird auch mein Tagesablauf mehr und mehr entschleunigt, das Augenmerk mehr auf das Wesentliche gelegt und ich übe mich selbst in Gelassenheit, darf doch so manches Staubkorn auch einfach noch einen Tag länger liegen bleiben, der Terminkalender wird entzerrt und alles darf etwas langsamer von statten gehen. Es geht nicht alles von heute auf morgen, doch Stück für Stück. Am Anfang war die Erkenntnis "Irgendwas muss anders werden.", damit findet sich dann auch ein Weg. Und Qigong ist eine wunderbare Kunst, um zu lernen, gut für sich selbst zu sorgen.
Amituofo,
Eure Martina