Unser Leben - Dabei sein ist alles
Vor ein paar Wochen habe ich im Radio ein Interview gehört. Es war die Zeit nach der Olympiade und es wurde ein Journalist befragt, der wiederum Sportler interviewte, bezüglich der Bedeutung von mentaler Gesundheit im Spitzensport. Dabei stellt sich heraus, dass das Mentaltraining zwar hauptsächlich aus dem Sportbereich bekannt ist, doch die Sache mit der Psyche noch sehr wenig Beachtung bekommt. Letztlich, wie in unserer gesamten Gesellschaft, möchten die meisten nur etwas davon hören, wenn es darum geht, Leistung zu verbessern. Sobald die Psyche leidet, wird doch meistens noch versucht, es zu vertuschen, geschweige denn wollen viele Umstehende damit nicht konfrontiert werden. Vielleicht, weil die Lösung sich oft als schwierig herausstellt.
Wohl bemerkt, es ist schwierig, mit jeglicher Art von Krankheit umzugehen. Doch gerade die Psyche ist noch ein großes Tabuthema in unserer Gesellschaft. Burnout, Depression, Erschöpfung werden sogar von Manchen als "Trend" betitelt. "Sowas gab es doch früher nicht und jetzt 'versteckt' sich so manch einer dahinter." Das ist keine seltene Aussage, der ich schon begegnet bin. Als ob es für irgendjemanden "chic" wäre, psychisch zu leiden. Die Frage sollte doch noch viel mehr dahin gehen, weshalb diese Krankheiten immer verstärkter auftreten. Wenn wir uns letztlich nicht mit der Ursache befassen, wird es zu keiner dauerhaften Lösung kommen.
In dem oben genannten Interview hatte mich eine Aussage hellhörig gemacht. "Früher hieß es bei der Olympiade 'Dabei sein ist alles'. Heute zählen nur noch die Medaillen." Und aus meiner Beobachtung heraus, zählen nicht mal mehr Silber oder Bronze. Es scheint so, dass ein wirklicher Gewinn nur mit Gold zu erzielen ist. So wurde ein Teilnehmer der Deutschen Ruderer gefragt, wie groß die Enttäuschung über den zweiten Platz sei. Seine Antwort war, dass seine Mannschaft gerade einfach nur erschöpft von dem Wettkampf ist, doch wenn sich das legt, sie sich auch über den zweiten Platz sehr freuen und ihn zu schätzen wissen werden. Nur allein die Frage des Reporters weckt in mir Empörung und ich möchte dem Ruderer noch mehr zu seiner Leistung wie auch zu seiner Antwort beglückwünschen. Gleichzeitig erscheint mir das Bild, bei unserer Abitursverkündung, als die Lehrer im Saal jeden Einser-Durchschnitt beklatschten. Wir Schüler waren es dann, die genau dasselbe mit den Dreier-Durchschnitten machten. Mir stellt sich die Frage, muss man sich wirklich "entschuldigen", wenn man "nur" den zweiten Platz belegt, wenn egal wo, keine "1" davor steht? Nur allein im Hinblick auf die Olympiade, wer dort teilnimmt, gehört zu den weltweit Besten, das ist doch wohl was. Natürlich hat jeder Sportler dabei für sich ein Ziel. Doch wie gesund ist es, dass es immer höher, schneller, weiter sein muss? Nennt sich die Olympiade nicht auch "Olympische Spiele"? Doch, wo bleibt das Spielen, wenn es nur noch um Leistung, und noch mehr Leistung, und noch mehr Leistung geht?
Und der Sport ist nur das Abbild von dem, was tagtäglich in unserem allgemeinen Leben läuft. Sollten wir nicht gerade durch diese Coronazeit das "Dabei sein ist alles" in allen Bereichen wieder mehr zu schätzen gelernt haben? Hat es uns nicht gezeigt, wie schnell alles zusammenbrechen kann und das letztlich die Gesundheit das Wichtigste zu sein scheint? Ich sage "scheint", da es auf der einen Seite auch mittlerweile von der Regierung so betont wird. Wurden doch all die Maßnahmen der letzten 1,5 Jahre unter der Überschrift "Gesundheit für die Menschheit" ergriffen. Doch Gesundheit bezieht sich doch nicht nur darauf, dass so viele wie möglich geimpft sind, damit so wenig wie möglich Intensivbetten belegt werden. Gesundheit ist doch viel mehr als das.
Gesundheit bezieht sich auf unseren Körper, ja, denn ohne ihn geht nichts. Doch wie halten wir unseren Körper gesund? Da gehört so viel mehr dazu, als sich nicht krank zu fühlen. Gesundheit ist ein Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele. Gesundheit bezieht sich auf unser Wohlgefühl, in uns, aber auch mit all dem, womit wir uns umgeben. Sie bezieht sich auf unsere Beziehungen, zu uns selbst und zu unserer Umgebung, auf unser Arbeitsfeld, unsere Finanzen, auf unsere Freizeit. Doch selbst da ist oft die Devise, noch größere Reisen, noch wildere Abenteuer, noch ausgefallenere Hobbies. Kaum lassen es die Corona-Maßnahmen wieder zu, geht es auch schon wieder los. Ein Gehetze hier, ein Gerenne dort. Man möchte allem gerecht werden und rennt sich den sogenannten Herzbändel ab, nur um am Ende sagen zu können...ja, was eigentlich?
Ich denke gerade an ein Zitat aus dem Film "Die Legende von Bagger Vance" - "Wir können das Leben nicht gewinnen, wir können es nur spielen." Und so ist es doch. Doch was macht das Spielen aus? Höher, schneller, weiter? Nein. Spielen zeichnet sich aus durch Kreativität, Lockerheit, Freude, Ausschüttung von Glückshormonen, Ausprobieren, Neues entdecken. Doch Neues entsteht nicht dadurch, dass man Altes immer weiter verbessert, noch mehr topt.
Neues entsteht dadurch, dass man Altes neu zusammenbringt. Doch das geht nur, wenn man alte Wege verlässt, auch wenn man noch so verrückt erscheinen mag. Neues entsteht durch die Bereitschaft, auch Fehler zu machen und Scheitern zu dürfen. Neues entsteht, dann wieder anzusetzen, mit der gemachten Erfahrung im Gepäck und weiter zu versuchen. Es stimmt schon, in der Entwicklung geht es auch um Verbesserung. Doch nicht unbedingt um höher, schneller, weiter, sondern eine Verbesserung bzw. Anpassung unseres guten Lebensgefühls, um ein stetiges Wachsen unserer selbst. Das scheint in uns Menschen veranlagt zu sein. Doch das Ziel sollte nicht sein, darunter zu leiden, sondern mit Lebensfreude und Spaß bei der Sache zu sein. Spielen, das gehört auch zu unserer Veranlagung dazu, können wir es doch von Kindesbeinen an. Das ist das, was uns beflügelt, wobei wir Angst vergessen, was uns in ein Flow-Gefühl versetzt und Endorphine ausschütten lässt. Im Spiel, der Moment, wenn uns die Muse küsst und wir voll im Hier und Jetzt sind.
Unser Leben ist ein Versuch. Unser Leben ist ein Spiel. Unser Leben ist unsere Olympiade. Dabei sein ist alles. Wie wäre es, wenn es mit Freude geschieht? Welche Faktoren benötigst du dazu? Und wie könntest du sie mehr in dein Leben bringen? Je mehr Gesundheit auf allen Ebenen dabei ist, umso größer ist unsere Ausdauer und umso länger haben wir daran.
Mögen die Spiele beginnen.
Alles Liebe, Martina