Hilfe bei Hoppla-Tagen

Vielleicht kennst du sie, diese Hoppla-Tage, an denen aber auch alles schiefgehen will. Das kann schon damit anfangen, dass dir morgens die Wattestäbchen-Box auf den Boden fällt, und jedes einzelne Teil sich so wunderbar verteilt, dass du auch wirklich nochmal jeden Winkel in deinem Badezimmer kennenlernst. Völlig in Gedanken beginnst du dein Gesicht einzureiben. Wunderst dich vielleicht noch, warum es dieses Mal so zäh geht, bis dir klar wird, dass du in deiner Morgenroutine eigentlich schon viel weiter bist. Nämlich so weit, dass die Creme in deinen Händen gar keine Gesichtscreme ist, sondern Haarwachs. Damit wolltest du verhindern, dass die Zerwuselheit, die du gerade in deinem Kopf hast, nicht auch noch an deinen Haaren erkennbar sein möge. Gut, das hat schonmal nicht geklappt. Du wäschst dir nochmal dein Gesicht und bringst dann jede Creme an die Stelle, für die sie vom Hersteller gedacht war. Und so atmest du frisch eingecremt und gestylt tief durch, damit du jetzt neuen Mutes in den Tag starten kannst.

Doch wie es manchmal so ist, ist dieses „Hoppla“ erstmal bei dir eingezogen, bleibt es da auch gerne noch ein bisschen und richtet sich wohlig ein. Es scheint sogar noch seine Freunde mitzubringen und das Ganze zu einer einzigen Party über mehrere Tage ausufern zu lassen. Als wäre das mit diesem Hoppla ein Schneeballsystem. Fängt es erstmal an, nimmt es von Stunde zu Stunde an Fahrt auf. Der Schlüssel bricht im Loch ab, und das abgebrochene Stück rutscht beim Versuch, es herauszuholen, noch weiter in das Schlüsselloch. Kurz darauf befindet sich ein Teil deines Haushaltes in Quarantäne (Corona-in-da-house) und gleichzeitig will die Pumpe deiner Waschmaschine nicht mehr funktionieren, Lieferzeit zwei Wochen. Es gäbe noch einiges aufzuzählen von diesem Hoppla. Doch irgendwann ist auch in diesen Zeiten Feierabend und du freust dich darauf, dich endlich gemütlich vor den Fernseher zu setzen, die Seele baumeln lassen, das Hoppla wegzusperren. Doch was ist jetzt? Die Fernbedienung ist verschwunden, unauffindbar, einfach weg. Du suchst in jeder Ecke deiner Wohnung, auch dort, wo sie wirklich nicht sein kann, also, wirklich nicht. Und, wie sollte es anders sein, dabei fällt die Konstruktion, mit der du den Vorhang vor deinem Regal befestigt hast, auch noch von der Wand.

Ja, da kann man sich schonmal als armes Würstchen fühlen, in Selbstmitleid zerfließen, da die Welt sich einfach gegen einen verschworen zu haben scheint.

Das Schlimme ist nur, wenn das passiert, wird alles noch ein bisschen schlimmer. Und das Gesetz der Anziehung wird dazu führen, dass jede einzelne kommende Situation dieses Gefühl weiter unterstreichen wird. Unser Geist wird anfangen danach zu suchen, damit er sich bestätigt fühlt, wirklich die ärmste Wurst weit und breit zu sein. Das einzige was dabei helfen kann, ist, seine Gedanken umzulenken. Doch leichter gesagt als getan, wenn man gerade in diesem Strudel gefangen ist.

Wie also gedanklich aussteigen, wenn innen und außen der Wirbelsturm tobt? Ein bewährtes Hilfsmittel für mich ist es, diesem Teil in mir - dieser armen Wurst, diesem Zorngickel, dem motzenden Brummbär - einen Namen zu geben, so einen Namen, der so wirklich dazu passt. Bei mir zum Beispiel ist es "Kunigunde" (und dabei möchte ich niemanden zu nahe treten, für mich hat dieser Name einfach eine gute Verbindung dazu.)

Und dann beginne ich mit Kunigunde Kontakt aufzunehmen, mit ihr zu reden. Schließlich redet unser Gehirn ja auch ständig mit uns „Du solltest mal wieder…Ach, ich bin jetzt aber auch müde…Mmh, dieser Muffin wäre jetzt genau das Richtige…“ und so weiter. Also, jetzt drehen wir mal den Spieß um und ändern die Richtung des Monologs.

Oft reicht es sogar schon, mir die innere Kunigunde vorzustellen, um etwas Abstand zu dem Ganzen zu bekommen. Indem ich meine Aufmerksamkeit auf Kunigunde richte, wird es direkt etwas freundlicher in mir. Ja, Kunigunde ist wirklich eine arme Wurst, doch mal ganz ehrlich, so eine arme Wurst möchte ich nicht sein. Und so spreche ich zu ihr: "Kunigunde, du hast jetzt lang genug mit den Füßen aufgestampft, jetzt stampf dich mal in die Ecke und mach mal wieder Platz für das schöne Leben." Und je mehr ich so mit ihr rede, trollt sie sich an einem gewissen Punkt wirklich allmählich weg, verzieht sich nach hinten, Da in der Ecke kann sie von mir aus weiter vor sich hinbrubbeln, motzen, stänkern, doch da in der Ecke, kann ich sie schlechter hören, ihre Stimme wird immer leiser und Kunigunde immer weniger sichtbar. Und gleichzeitig  bekommt auch dieses miese Gefühl, dass sich vorher mehr und mehr in mir ausgebreitet hatte, jetzt einen immer kleineren Raum. Wenn ich jetzt von außen auf diese knotternde Kunigunde schaue, muss ich auf einmal Kichern. Ich lache Kunigunde an, und auch wenn sie (erstmal) nicht zurücklacht, kann selbst sie nicht mehr so ganz ernst bleiben.

Und auf einmal entsteht Platz für etwas anderes, ein anderes Gefühl, mehr Farbe und ein neues Geräusch. Es beginnt sich auszubreiten, dieses neue, was da ist, ich nenne es: Humor. Und wir fangen beide an zu lachen - Kunigunde und ich. Wir erkennen an, a, es ist schon einiges blöd gelaufen und nervig, doch so gesehen ist es ja auch nur halb so schlimm. Das Schlüsselstück ist wieder aus seinem Loch herausgekommen und wir müssen nur einen Schlüssel nachmachen, statt das ganze Sortiment wechseln zu müssen – und ich gehe jetzt mit sämtlichen Schlüsseln etwas zärtlicher um, wenn sie zum Einsatz kommen. Der Gesichtsflaum hat jetzt auch mal erfahren, wie es sich wohl so als Kopfhaar anfühlen muss, wenn es mit Wachs tagtäglich gebogen wird und das Wichtigste,  im Großen und Ganzen geht es uns gut. Anderweitige Möglichkeiten, um Wäsche zu waschen, haben sich auch gefunden und der Vorhang vor dem Regal sitzt jetzt auch strammer als zuvor. Überhaupt wäre es ja auch eine Idee, diesen Stoff mal gegen eine Schiebetür einzutauschen. Siehst du, Kunigunde, alles ist auch für irgendwas gut, und wenn du in der Ecke stehst, kann ich mich wesentlich besser darauf konzentrieren. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Und der Ludmilla Lustig in mir zu begegnen ist mir tausendmal lieber als Kummer-Kunigunde.

Was ist nun mit dem Hoppla-Schneeball? Der kommt nach und nach im Tal an, wird langsamer, bis er zum Stehen kommt. Durch die aufgehende Sonne in mir beginnt der Schnee zu schmelzen und der Ball wird immer kleiner, bis er sich an irgendeinem Punkt ganz aufgelöst hat. Hoppla und seine Freunde sitzen müde auf der Couch und lassen jetzt Wattestäbchen erstmal Wattestäbchen sein.

Alles Liebe, Martina