"Bist du auch wegen dem Rücken hier?" fragt mich der bandscheibengeplagte Italiener im Wartebereich vor dem MRT. "Nein, wegen dem Herz." – "Achso.", "Naja, auch nicht schön", wirft er noch hinterher, während er unter schmerzverzerrtem Gesicht versucht, eine andere Sitzposition zu finden. "Nee, nicht schön. Aber im Vergleich kann ich mich zumindest noch gut bewegen." Ich zwinkere ihm zu. Wir beide schmunzeln. Unter Leidensgenossen vor der MRT-Röhre ist ein bisschen Galgenhumor erlaubt.
Er erzählt mir in Etappen seine Geschichte, während er mir zwischendurch immer wieder zuwirft, dass es fürs Herz gute Kräuter gibt. Er berichtet weiter, wie es zu seinen schlimmen Rückenschmerzen kam, dann weist er daraufhin, dass ich auch mal meine Schilddrüse untersuchen lassen soll. So oft würde gemeint, es wäre das Herz, doch dann ist es die Schilddrüse. (Woher er sich da so auskennen mag, berichtet er nicht, doch er bringt es sehr überzeugt rüber.)
"Und Tee, guck im Internet. Es gibt gute Kräuter, die helfen." Ich bedanke mich immer wieder für seine mitfühlenden Tipps, während er vor Schmerz teils gar nicht richtig atmen kann. Die Kraft, sich um Gesundheitstipps für mich zu kümmern, nimmt er sich trotzdem. Vielleicht lenkt es ihn wiederum gleichzeitig mal kurz von seinen Schmerzen ab.
"Mmh, dieses Kraut, mmh, wie heißt das nochmal?", überlegt er und klopft mit seinem Zeigefinger auf seinem Oberschenkel, "ach, ich hab mein Handy nicht dabei. Hol mal deins raus."Ich mache, wie gewünscht, es gibt ja auch gerade sowieso nichts anderes zu tun.
"Jetzt gib ein 'H-E-R-E'." Ich folge seinen Anweisungen.
"Jetzt auslösen." Es erscheinen Einträge wie "here we go".
"Nein, nein, lösch das, geh zurück. Jetzt nochmal. 'R-E-N'." Auch das gebe ich ein und löse aus. Auf meinem Handy erscheint das Wort Ren, Rentier und ein kleines Bild dabei, was er von der Seite nicht so ganz einsehen kann.
"Ja, ja, das ist es."Wie jetzt?
"Rentier? Ehrlich?“, frage ich.
"Ja, ja", voller Inbrunst der Überzeugung freut er sich. Ich freue mich für ihn mit.
"Davon einen kleinen Löffel mit ein bisschen Milch, Salz und Zucker verrühren und jeden Morgen einen Löffel davon nehmen. Das hilft fürs Herz.""Super", sage ich, "das merke ich mir." Es ist doch nett, dass er sich solche Mühe gibt und vielleicht komme ich ja noch dahinter, ob er wirklich Rentier meint.
"Ja, wirklich, nimm das. Alle Omas und Opas in Italien nehmen das. Ein Rezept, das schon die alten Römer kannten." Er freut sich so. Und diese Freude möchte ich nicht trüben, auch wenn ich schon ein wenig zweifle, ob das alles so zusammen passt, war mir bisher doch nicht bekannt, dass die alten Römer viel Kontakt zu Rentieren hatten. Mal ganz davon abgesehen, wie ich an Rentier komme und dies dann auch noch als löffelartige Mischung zu mir nehmen soll.
Meine neue Bekanntschaft freut sich immer noch. "Jeden Morgen ein bisschen davon. - Es ist zwar sehr scharf, doch sehr gut fürs Herz."
"Scharf?“
"Ja, sehr scharf.“
"Sehr scharf? - Achso, meinst du vielleicht Rettich?"
"Ja, ja, Rettich, das sag ich doch. Rettich ist gut fürs Herz", seine Augen strahlen vor Freude, jetzt, da ich es endlich begriffen habe.
Ich muss herzhaft lachen, er auch. Wir lachen aus verschiedenen Gründen, doch warum man lacht ist doch egal. Denn abgesehen von Rettich ist Lachen auch sehr gut fürs Herz. Das wussten schon die alten Chinesen.
Zum Glück hat sich herausgestellt, dass mein Herz gut aussieht, auch wenn es ab und an Spirenzchen macht. Doch dank dieser Begegnung weiß ich ja jetzt, womit ich ihm Gutes tun kann.Von Herzen die besten Genesungsgrüßen an meinen italienischen Kurzreisebegleiter, der mich noch in der Röhre tatsächlich ab und an zum Lächeln brachte, sobald ich mir das Bild des Rettich-Rentiers vor mein inneres Auge hielt.
Lachen ist immer noch die beste Medizin.
Wie es mir dann tatsächlich in der MRT-Röhre erging und wie ich mich dort durchgearbeitet habe, gibt es in meinem Artikel "Einatmen, ausatmen, nicht mehr atmen. Weiteratmen." nachzulesen.
Alles Liebe,
Martina
(Mittlerweile habe ich gelernt, dass K-r-e-n ein anderes Wort für Meerrettich ist. Und auf einmal ergibt alles einen Sinn. Was so ein kleiner Buchstabe doch bewirken kann ;-) )